Im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzog sich in Bezug auf das Thema Alkoholismus ein Zuständigkeitswechsel von den
Moralpredigern hin zur Medizin. Diese Kompetenzverschiebung brachte eine Vielzahl von Publikationen hervor, die
sich mit den Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum wie auch dem Alkoholismus als eigenem Krankheitsbild
beschäftigen.
Interessanterweise kommt kaum eine dieser humanmedizinischen Schriften ohne einen Exkurs in
die Tierwelt aus: So dienten Tiere insbesondere in der ersten Jahrhunderthälfte als eine Projektionsfläche für
das Nachdenken darüber, warum sich der Mensch wissentlich mit Alkohol vergifte, während Tiere die Substanz
instinktiv zu meiden wüssten. Thomas Trotter, einer der frühen Vertreter des hier fokussierten Forschungsfeldes,
behauptete gar, der Mensch degradiere sich durch Trunkenheit nicht nur selbst zum Tier, sondern falle in diesem
Zustand auch noch bei seinen sonst so treuen Haustieren in Ungnade.
Zu solchen eher philosophischen Überlegungen gesellte sich ab circa 1850 schließlich auch das
Experimentieren an Tieren. Vor allem Hunde und Kaninchen, gelegentlich aber auch etwa Frösche, wurden nun
instrumentalisiert, um die Wirkungen des Alkohols, beispielsweise mit Blick auf Blutbeschaffenheit,
Hirnstruktur, Körpertemperatur oder Verdauungstätigkeit, zu ergründen. Dabei wurden beide Stränge – der Versuch,
alkoholaffine Menschen durch die moralische Überhöhung der angeblich abstinenten Tiere zu „bessern“ wie auch die
Tierversuche und ihre fragliche Ergebnisübertragbarkeit auf den Menschen – von Zeitgenossen kritisiert und in
Zweifel gezogen.
Der Beitrag analysiert thematisch einschlägige Schriften west- und osteuropäischer Ärzte.
Mit der Beleuchtung des humanmedizinischen Blicks auf Tiere und Alkohol greife ich einen Aspekt der
Medikalisierung der Alkoholfrage auf, die ich im Rahmen des Projekts „Alcohol, Sobriety and Drunkenness:
Discourses on the Boundaries of Drinking in the 19th century Post-Partition Poland“ untersuche.