Nahezu jeder Mensch, der sich heute einem operativen Eingriff unterzieht, bekommt in Form von
‚Thrombose-Spritzen‘ den Gerinnungshemmer Heparin verabreicht. Dabei geht die massive Abhängigkeit zahlreicher
medizinischer Praktiken von diesem physiologischen Wirkstoff gleichsam mit einer Abhängigkeit von prekären
tierischen Rohstoffquellen einher. Während Heparin erstmals 1916 aus Hundeleber isoliert wurde, verlagerte sich
die Extraktionsquelle im Laufe der 1930er-Jahre sukzessive auf Rindereingeweide und damit in den Einzugsbereich
zentralisierter Massenschlachthöfe. Als wichtigster Schauplatz der Aufreinigung und Standardisierung des
Gerinnungshemmers etablierte sich in diesem Zeitraum die Metropole Toronto. Dort suchte sowohl eine
Forschungsgruppe um Charles H. Best nach neuen Verfahren der Heparin-Gewinnung als auch ein Oligopol von
Fleischfabrikanten nach Absatzmärkten für Schlachtabfälle.
Am Beispiel dieser Konstellation verknüpft der
Vortrag die Geschichte der frühen Heparinforschung mit jener der nordamerikanischen Fleischindustrie und zeigt
die Entstehung eines medizinisch-industriellen Abhängigkeitsverhältnisses auf, das im Angesicht von Pandemien
und Klimawandel Katastrophenpotenzial birgt.