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Benjamin Prinz (Bauhaus-Universität Weimar):

Zwischen Labor und Massenschlachthof: Die Gewinnung von Heparin im Toronto der 1930er-Jahre

Nahezu jeder Mensch, der sich heute einem operativen Eingriff unterzieht, bekommt in Form von ‚Thrombose-Spritzen‘ den Gerinnungshemmer Heparin verabreicht. Dabei geht die massive Abhängigkeit zahlreicher medizinischer Praktiken von diesem physiologischen Wirkstoff gleichsam mit einer Abhängigkeit von prekären tierischen Rohstoffquellen einher. Während Heparin erstmals 1916 aus Hundeleber isoliert wurde, verlagerte sich die Extraktionsquelle im Laufe der 1930er-Jahre sukzessive auf Rindereingeweide und damit in den Einzugsbereich zentralisierter Massenschlachthöfe. Als wichtigster Schauplatz der Aufreinigung und Standardisierung des Gerinnungshemmers etablierte sich in diesem Zeitraum die Metropole Toronto. Dort suchte sowohl eine Forschungsgruppe um Charles H. Best nach neuen Verfahren der Heparin-Gewinnung als auch ein Oligopol von Fleischfabrikanten nach Absatzmärkten für Schlachtabfälle.

Am Beispiel dieser Konstellation verknüpft der Vortrag die Geschichte der frühen Heparinforschung mit jener der nordamerikanischen Fleischindustrie und zeigt die Entstehung eines medizinisch-industriellen Abhängigkeitsverhältnisses auf, das im Angesicht von Pandemien und Klimawandel Katastrophenpotenzial birgt.