Die heutigen Rinderherden Namibias sind zum Teil biologisches Erbe des deutschen Kolonialismus. Als Legitimierung
für die koloniale Intervention stand die Nutztierzucht – insbesondere die Rinderzucht – im Mittelpunkt der
kolonialen Bestrebungen. Unter dem Paradigma einer „rationalen Rinderzucht“ sollten lokale, afrikanische
Rinderpopulationen – getrieben von biologistischem Rassismus und kapitalistischer Leistungslogik – transformiert
und „verbessert“ werden. Trotz der kolonialen Transformation zum System der stationären Farmwirtschaft blieben
afrikanische pastorale Praktiken der Rinderzucht bestehen und erwiesen sich angesichts der ökologischen
Verhältnisse in der semi-ariden Region als überaus persistent. Die koloniale Rinderzucht befand sich daher in
einem konfliktreichen Spannungsfeld. Einerseits die Disruptionen durch die Landnahme und Zerstörung indigener,
pastoraler Gesellschaften, dem Aufbau technisierter Farminfrastruktur, dem Verfolgen kolonialer Zuchtziele:
Diese zielten auf eine phänotypische Einheitlichkeit der Rinderherden und einer Leistungssteigerung der
Milchproduktion und Mastfähigkeit ab. Andererseits prägten die Kontinuitäten pastoraler Haltungspraktiken und
die biologische Abhängigkeit von lokalen, akklimatisierten Rindern die koloniale Rinderzucht.
Der Vortrag verbindet jüngere Perspektiven der Agrar-, Technik- und Umweltgeschichte. So werden die
Rinderherden des kolonialen Namibias in ihrem Verhalten und ihrer körperlichen Anpassungsfähigkeit an die
kolonialen Zuchtstrategien ins Zentrum der Analyse gestellt. Abschließend diskutiert der Vortrag, welche
Prozesse der europäischen Rinderzucht in der ehemaligen Kolonie adaptiert oder übernommen wurden und stellt die
überdauerten Eigenheiten und Elemente afrikanischer Rinderzucht heraus.