Die Rationalisierung und Marktorientierung der Agrarwirtschaft im 19. Jahrhundert führte im Kaiserreich und in
der Weimarer Republik zu einem rasanten Wachstum der Schweinebestände. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch
die Verbreitung von theoretischem und praktischem Wissen sowie durch technische Innovationen. Während die
Tierzüchter eine leistungsorientierte Sicht der Schweinehaltung propagierten, ermöglichten die modernen
Wissenschaften – Zoologie, Veterinärmedizin und Tierpsychologie – ein neues Verständnis der Tiere und ihrer
Bedürfnisse. Parallel dazu entwickelte sich in Deutschland die Tierschutzbewegung. Obwohl sie sich eher auf
Tiere im sozialen Nahbereich des Menschen konzentrierte, konfrontierte sie die Gesellschaft des Kaiserreichs mit
neuen Moralvorstellungen zur Tierhaltung.
Anhand von Fachliteratur, Lehrbüchern und Ratgebern zur
Schweinehaltung sowie der Zeitschrift für Schweinezucht, Schweinemast und Schweinehaltung (1894–1943) werden im
Referat drei Aspekte des Schweinelebens dargestellt, die sich im Untersuchungszeitraum durch neue Techniken
grundlegend veränderten. Erstens wurden zum Schutz der neugeborenen Ferkel vor dem Erdrücken durch die Mutter
sogenannte Abferkelkisten eingeführt. Diese Vorläufer der heutigen Kastenstände schränkten die Bewegungsfreiheit
der Sauen ein und wurden daher von Anfang an kritisch betrachtet. Zweitens, um den Schweinen Bewegung im Freien
zu ermöglichen und gleichzeitig das Wühlen zu verhindern, empfahlen einige Züchter Nasenringe. Andere
kritisierten diese Methode und machten Gegenvorschläge, wie z. B. eine bessere zeitliche und räumliche
Organisation des Weidegangs. Drittens wurde auf Druck von Tierschutzvereinen das bis dahin übliche Keulen der
Schweine nach und nach durch Bolzenschussapparate und schließlich durch die sogenannte elektrische
„Schweinefalle“ ersetzt. Die Frage des Tierschutzes wurde im Hinblick auf die genannten drei Aspekte stets von
Zeitgenossen thematisiert.