zurück

Sarah Ehlers (Forschungsinstitut für Technik- und Wissenschaftsgeschichte Deutsches Museum (München)):

Schadtiere – Nutztiere – One Health? Vögel, Heuschrecken, Moskitos und Rinder in der Debatte um gefährliche Pestizide in Entwicklungsländern in den 1970 bis 1990er Jahren

Seit den 1970er Jahren waren gefährliche Pestizide wie DDT im Globalen Süden breit verfügbar. Wegen ihrer Umweltgefahren zuvor in den meisten Industrieländern verboten, waren sie nun Teil von Entwicklungshilfe- und Gesundheitsprogrammen. Hier wurden die hochpotenten Chemikalien weitgehend unreguliert und ohne Aufklärungs- und Schutzmaßnahmen eingesetzt, was zu vielfältiger gesellschaftlicher Kritik wie zum Ruf nach wissenschaftlicher Evidenz und zu Regulierungsversuchen in der internationalen Politik führte. Obwohl sich die Kontroverse vor allem um die menschlichen Pestizidtoten und die Gesundheit und Lebensgrundlagen der Menschen drehte, spielten Tiere in mehrfacher Hinsicht entscheidende Rollen. Als „Schadtiere“ standen sie einerseits im Zentrum der Schädlingsbekämpfung. Im Rahmen der Malaria-Kampagnen zielten großangelegte Pestizid-Sprühaktionen auf die Vernichtung der Anopheles-Mücken, während landwirtschaftliche Entwicklungshilfe hochtoxische Pestizide gegen tierische Schädlinge wie Heuschrecken, Nagetiere oder Vögel einsetzte. Andererseits galt es, „Nutztiere“ sowohl durch als auch vor Pestiziden zu schützen, beispielsweise Rinder zum Schutz vor Parasiten in ein Pestizidbad zu tauchen. Aufgrund der hohen Toxizität und unsachgemäßer Anwendung führte der Chemikalienkontakt allerdings oftmals zum Tod einzelner Tiere. Auch lagerten sich die Giftstoffe im Körper der Tiere an, was u.a. zur Folge hatte, dass ihr Fleisch aufgrund von strengeren Regularien nicht mehr in die Industrieländer exportiert werden konnte. Die Kritik am Einsatz von gefährlichen Pestiziden hob mit solchen Beispielen die Untrennbarkeit von Mensch und Natur hervor: Die Verbesserung der Welternährungslage sei nicht über die Vergiftung einzelner Elemente eines Ökosystems zu erreichen, weil sich Giftstoffe nie derart beschränken ließen. In dieser Kritik zeigen sich insofern auch Konturen eines One-Health-Ansatzes, der die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen als interdependent versteht.