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Hanna Lucia Worliczek (Universität Bielefeld):

Die Maus im Orientexpress. Von Mäusen, Menschen und Katzen in der Toxoplasmose-Forschung ab 1940

Im Juni 1949 schmuggelte der Wiener Pädiater Otto Thalhammer mit Toxoplasma gondii infizierte Mäuse im Nachtzug von Paris nach Wien – ein großzügiges Geschenk eines französischen Kollegen und die Grundlage für Thalhammers Arbeiten zur Diagnose, Prävention und Behandlung der konnatalen Toxoplasmose in den folgenden Jahrzehnten. Ausgelöst durch die diaplazentare Übertragung von Toxoplasma in der Schwangerschaft ist die angeborene Toxoplasmose von Föten, Neugeborenen und Kleinkindern eine zwar seltene, aber schwerwiegende und teils tödliche Erkrankung. Nach der klinischen Erstbeschreibung in den 1930er-Jahren wurde der Lebenszyklus des Erregers um 1970 aufgeklärt und Übertragungswege zwischen Katzen, Nutztieren, Mäusen und Menschen identifiziert. Die Episode im Nachtzug wirft ein Schlaglicht auf die vielfältigen Interaktionen zwischen Mäusen, Katzen und Menschen in der Erforschung, Diagnose und Prävention der konnatalen Toxoplasmose: Von Mäusen und Katzen als lebende „Produktionsmittel“ zur Erhaltung von Parasitenstämmen im Labor, über die Verwendung der Maus als Modellorganismus, bis zur geliebten Hauskatze als Infektionsquelle für schwangere Frauen und den Mensch als zufälliges aber willkommenes Versuchssubjekt nach Laborunfällen. Der Beitrag nimmt die materiellen Forschungskulturen in den Blick, fragt nach den epistemischen Rollen und Ontologien von Tieren und untersucht die wechselnden Rollen von Menschen und anderen Tieren innerhalb dieser epistemischen Ökonomie.