Seit der Gründung der UdSSR verstärkte sich der Bedarf und das Interesse am Einsatz von Hunden für den Staat:
Neben dem Militär- und Polizeidienst fanden die Tiere Verwendung im landwirtschaftlichen Sektor sowie als
Schlitten-Zughunde in den nördlichen Gebieten der Sowjetunion. Zahlreiche Ratgeber aus dem ersten Drittel des
20. Jahrhunderts versprachen jedem/jeder Hundeliebhaber*in die ‚richtige‘ Diensthundezucht und -ausbildung
zugänglich zu machen, indem sie die in ihnen dargelegten Zucht- und Trainingsmethoden von jeglicher
‚Vermenschlichung‘ befreiten und auf eine rein ‚wissenschaftlich-objektive‘ Grundlage, dem Fachgebiet der
‚Kynologie‘, zurückgriffen.
In meinem Vortrag möchte ich zeigen, wie sich der Hundekörper im
sowjetischen Zuchtsystem als lebendiges Anschauungsobjekt der lamarckistischen Theorien des Biologen Ivan
Michurin und seines Nachfolger Trofim Lysenko materialisierte. Zu diesem Zweck diskutiere ich sowohl die
Zuchtkriterien und -praktiken, die den idealen ‚Diensthundekörper‘ produzieren sollten, als auch die konkreten
biopolitischen Maßnahmen, mit deren Hilfe die Reproduktion und ‚Eliminierung‘ bestimmter Nachkommen umgesetzt
wurden. Der theoretische Rahmen bewegt sich dabei am Schnittpunkt der Wissenschafts- und Körpergeschichte und
stellt das Leibliche als Produkt von wissenschaftlichen Diskursen und Praktiken ins Zentrum der historischen
Betrachtung. Darüber hinaus soll im Sinne einer Raumgeschichte von Mensch und Tier untersucht werden, wie sich
die qualitative Grenzziehung zwischen den ‚Hunderassen’ in der räumlichen Gestaltung von sogenannten
‚Zuchtschauen‘ manifestierte. Anliegen des Vortrags ist es, für Perspektiven auf das tierliche Gegenüber, die
von westlichen Vorstellungen divergierten, zu sensibilisieren, und so die theoretischen Grundpfeiler der
Human-Animal-Studies, die in der Regel in die politischen Kategorien der anglo-europäischen Kultur eingebettet
sind, auch für den osteuropäischen Raum produktiv zu machen.