zurück

Vera Straetmanns (Ruhr-Universität Bochum):

Pflanzen und Tiere im Vergleich: Das Programm der frühen Pflanzenpsychologie

Pflanzen dominieren die Erde und sind essenziell für tierisches und menschliches Leben. Lange wissenschaftlich und philosophisch vernachlässigt rücken neue Erkenntnisse zu ihren Fähigkeiten Pflanzen mittlerweile zunehmend in den Fokus der Wissenschaftstheorie. Ein kontroverser Aspekt hierin ist die Frage, ob Vergleiche zwischen Tieren und Pflanzen die Forschung bereichern oder verzerren. Sollten tierphysiologische Methoden auf Pflanzen übertragen werden? Lassen sich Begriffe des tierischen Verhaltens auf Pflanzen anwenden? Oder erfordert die fundmentale Andersartigkeit von Pflanzen eine eigene Methodologie und Sprache? Um neue Impulse für diese Diskussion zu schaffen, werde ich in meinem Vortrag zeigen, wie Botaniker*innen und theoretische Biolog*innen des frühen 20. Jahrhunderts die einzigartigen Eigenschaften von Pflanzen erforschten. Im Mittelpunkt steht dabei das Forschungsprogramm der „Pflanzenpsychologen“ um Raoul Heinrich Francé (1874–1943). Francé stellte 1909 die „Pflanzenpsychologie“ als neues Paradigma vor, das seelische Tätigkeiten in Pflanzen als „Arbeitshypothese“ annahm. Sein Ziel war es, die Pflanzenphysiologie zu revolutionieren und pflanzliche Prozesse zu erklären, die innerhalb des mechanistischen Paradigmas nicht verstanden werden konnten. Eine zentrale Rolle spielte für Francé das Verhältnis zwischen Pflanzen und Tieren. Basierend auf dem Kontinuitätsprinzip der Entwicklungslehre führte ihn die Annahme einer Seele und kognitiver Fähigkeiten bei Tieren zu dem Schluss, dass auch Pflanzen eine Seele besitzen. Zudem arbeitete er explizit mit Analogieschlüssen, etwa zwischen pflanzlichen und tierischen Sinnesorganen. Ich werde die Methoden und Annahmen der Pflanzenpsychologen analysieren und sie in den botanischen Forschungskontext des frühen 20. Jahrhunderts einordnen. Diese historische Perspektive erweitert unser Verständnis der Pflanzenphilosophie und hilft, aktuelle Debatten über das Verhältnis zwischen Tier und Pflanze theoretisch zu fundieren.