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Jan Brinkmann (Georg-August-Universität Göttingen):

Die Bienen fühlen. Insektenforschung, Emotionen und die Sinne um 1800

Im späten 18. Jahrhunderts lässt sich eine bemerkenswerte Konjunktur bienenwissenschaftlicher Publikationen beobachten. Bei der Lektüre dieser Texte wird schnell klar: Hier schrieben keine gleichgültigen Protokollanten der entomologischen Erkenntnis, sondern angesichts ihres Studienobjekts von Faszination und Ehrfurcht ergriffene Bienenenthusiasten. Das Erforschen von Insekten galt am Ende der Frühen Neuzeit als affektgesättigte Tätigkeit, die den Einsatz aller Sinne erforderte. Einer physikotheologischen Wissenschaftsauffassung folgend, ermöglichte die sinnliche Erfassung winziger Hautflügler nicht nur Aussagen über Insekten. Entomologische Befunde verwiesen aus Sicht der Zeitgenossen immer auch auf die göttliche Schöpfung, deren ganzheitliche Ordnung sich in den feingliedrigen Körpern lebender oder konservierter Insekten studieren ließ.

Wie eine ganze Reihe bienenwissenschaftlicher Schriften zeigt, bedeutete entomologische Forschungsarbeit dabei nicht nur, ein Wissensobjekt zu beobachten, sondern es zu riechen, zu schmecken, zu hören und mit einem religiös-kulturellen Index zu versehen. All diese Sinneseindrücke präsentierten frühneuzeitliche Bienenforscher als Zugänge zu einer umfassenden, sinnlich vermittelten Gotteserkenntnis, die ihre Wahrnehmung der Tiere maßgeblich durchdrang und ein ganzes Ensemble von Emotionen evozierte. Was eine Biene gegen Ende des 18. Jahrhunderts war, wie sie als epistemisches Ding verfasst und repräsentiert wurde, hing also auch davon ab, welche Assoziationen, Gefühlsregungen und Erfahrungen ihre sinnliche Präsenz hervorrief.

Der als Fallstudie konzipierte Vortrag erkundet die kulturellen Bedeutungen, affektiven Aufladungen und wissenskonstitutiven Effekte dieser geruchlichen, geschmacklichen und auditiven Wahrnehmungen als speziesübergreifende Praxis. Über die Biene, so die These, lassen sich neue Einsichten in die mehr-als-menschlichen, affektiven und sinnlichen Dimensionen der Wissenschafts- und Tiergeschichte herausarbeiten.