Wie überschritten Mediziner:innen während des Kalten Krieges Grenzen zwischen Staaten und politischen Blöcken, um
mit Kolleg:innen in Nachbarländern oder in aller Welt zusammenzuarbeiten? Die Sektion widmet sich solchen
transnationalen Dynamiken mit einem Fokus auf dem staatssozialistischen Europa. Die Metaphorik des „Eisernen
Vorhangs“ – und damit die Vorstellung einer rigiden Trennung der Systeme – wird seit einiger Zeit durch das
Konzept eines teilweise durchlässigen „Nylon Curtain“ (György Péteri) herausgefordert. Auch Medizin- und
Wissenschaftshistoriker:innen haben in diesem Sinne den Austausch zwischen Ost und West untersucht und gefragt,
wie Menschen, Daten, Wissen, Impfstoffe oder technisches Gerät in die eine oder die andere Richtung Blockgrenzen
passierten. Hieran schließt die internationale ERC-Forschergruppe LEVIATHAN an, aus der die Beiträge der Sektion
stammen.
Wir wollen anhand professioneller Interaktionen beschreiben, wie sich die (Un)Durchlässigkeit von
Grenzen im Zeitalter der Blockkonfrontation auf medizinische Forschung und Behandlungspraxis auswirkten bzw. wie
Akteur:innen aus dem Gesundheitswesen Grenzen „machten“. Wie durchlässig waren Grenzen zu verschiedenen Zeiten,
in bestimmten politischen Konstellationen? Welche Barrieren gab es innerhalb des sozialistischen Blocks?
Weichten Grenzüberschreitungen zwischen Ost und West die Blockgrenzen auf oder verfestigten sie
diese?
Die vier Beiträge berichten aus der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten, der
Aggressionsforschung, aus Herzchirurgie und Nierentransplantation; ihre Schauplätze wechseln zwischen Mittelost-
und Westeuropa und den USA. Das Spektrum der Fallstudien vereinigt Mikro- und Makroebene: Es umfasst die
Behandlung einer ostdeutschen Patientin und das professionelle Netzwerk eines tschechischen Pharmakologen, es
beschäftigt sich aber auch mit den Aktivitäten größerer Organisationen, wie internationalen Fachgesellschaften,
der WHO und Plattformen für den Austausch von Spenderorganen.